Tödliche Mutterliebe – warum Mütter ihre Kinder töten
Kaum eine Tat löst mehr Entsetzen aus als die Tötung des eigenen Kindes durch die Mutter. Oft wollen die Mütter außerdem auch sich selbst töten. In der Fachsprache reden wir von einem „erweiterten Suizid“. Die Motive können dabei vielfältig sein. Gerade an einer schweren Depression erkrankte Mutter, die beschließt, ihrem Leben ein Ende zu setzen, kann sich beispielsweise nicht vorstellen, ihr Kind alleine zurückzulassen. Es gibt aber auch Fälle, in denen eine Frau vor dem Hintergrund von Wahnvorstellungen annimmt, ihr Kind sei ausgetauscht worden oder ein Kind des Satans. Einer der bekanntesten Fälle ist Andrea Yates aus den USA, die ihre fünf Kinder eines nach dem anderen ertränkte. Sie war der Überzeugung, die Kinder würden vom Teufel heimgesucht und nur durch den Tod könnte sie diese vor der Hölle bewahren. In den Medien wurde sie als „die böseste Mutter der Welt“ bezeichnet. In gewisser Weise wollen diese Mütter ihre Kinder jedoch beschützen. Mit grausamen Konsequenzen. Vermeintlich altruistische Motive liegen bei Kindstötungen bei Weitem aber nicht immer vor. Kinder und Kleinkinder werden auch hierzulande von ihren Eltern vernachlässigt, sie verwahrlosen oder verhungern, sie werden geschlagen, geschüttelt und gequält.
Das Entdeckungsrisiko ist beim Neonatizid (bis 24 Stunden nach der Geburt) am geringsten. Festgenommen dagegen und zu einer Haftstrafe verurteilt wurde vor zwei Jahren eine Frau, die auf einer Autofahrt ihren Freund um eine Pause bat, weil sie Bauchkrämpfe habe. In Wirklichkeit war die Frau ohne Wissen des Partners schwanger und bekam ihre Wehen. Etwas abseits in der Dunkelheit brachte die 23-Jährige das Kind zur Welt. Wegen der Schreie steckte sie dem Neugeborenen ein Stück Papier in den Mund, ließ es zurück und setzte die Autofahrt fort. Das Baby erstickte.
Von Dirk Grupe: Schwäbische Zeitung vom 20.05.2021 (S.3)