Beitrag vorgestellt auf der Fachtagung: „Im Blick: Psychische Traumafolgen“
am 05.03.2018 im Rahmen des 26. Opferforum in Mainz
Bei der Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen geht der Aussagepsychologe nach einer hypothesengeleiteten Methode vor, welche die Nullhypothese („Die Aussage ist unwahr“) erst als widerlegt erachtet, wenn überwiegende Gegengründe plausibel aufgezeigt werden können. Eine maßgebliche Rolle kommt hierbei dem menschlichen Gedächtnis zu, welches komplex, begrenzt und durchaus störanfällig ist: Erinnerungen verändern sich ständig unbewusst aufgrund neuer Eindrücke. So kommt es bei Zeugenaussagen nicht selten zu subjektiv wahren, aber objektiv unzutreffenden Darstellungen. Begleitumstände und Rahmenbedingungen von Aussageentstehung und -genese sind insofern im Rahmen der aussagepsychologischen Begutachtung von großer Bedeutung. Neben der bewussten Falschaussage spielt auch der potenzielle Einfluss suggestiver Faktoren eine beträchtliche Rolle bei der gutachterlichen Fehlerquellenanalyse. Sogenannte Pseudoerinnerungen können durch aktive Suggestion oder Autosuggestion entstehen. Gerade affektive oder kognitive Bedürfnisse, womöglich einhergehend mit einer emotional-instabilen Persönlichkeitserkrankung oder -Akzentuierung, machen Personen mitunter stark empfänglich für suggestive Einflüsse. Mahnende Stimmen aus der juristischen, kriminalistischen und rechtspsychologischen Literatur (vgl. Eschelbach 2016, Köhnken 2015, Gasch 2015, Mack 2014) weisen darauf hin, dass bereits das Strafverfahren selbst, sowie informatorische Vorgespräche und begleitende „aufdeckende Therapien“ etc. etliche Einfallstore bieten, welche zu einer Modifikation von Erinnerungen bei der betroffenen Person führen können und dass dieses Risiko strukturell unterbewertet wird.